
DIRECTOR'S NOTE VON PHILIP KOCH
Die eindrücklichsten Thriller handeln von tiefen Urängsten: Die Angst, lebendig begraben oder auf dem offenen Meer zurückgelassen zu werden, die Angst, eingesperrt zu sein in Gefängnissen, Kellern oder verstörenden Labyrinthen. Gefangen zu sein in einem hermetischen System ist eine tief sitzende menschliche Urangst – und gleichsam ein existenzialistischer Gedanke, den ich mit BRICK auf eine neue Art bespielen will. Vielleicht ist es sogar eine ganz neue Form der Urangst. Eine, die erst nach den Lockdowns der Pandemie in uns erwachen konnte: Die Angst, in den eigenen vier Wänden eingesperrt zu sein. Das eigene Zuhause, das zur klaustrophobischen Todesfalle wird.
Der Ausbruch aus dem Zuhause birgt dabei auch eine weitere Spannung: Wie gut kennen wir unsere Nachbarn? Jede neue Wohnung, in die sich unsere Hauptfiguren vorkämpfen, birgt neuen Sprengstoff. Wer verbirgt sich hinter der nächsten Mauer? Und wie interpretiert er oder sie die „Brick Wall“? Ist sie tödliche Gefahr – oder doch Schutz? Am eigenen Leib müssen Tim und Olivia hierbei erfahren, dass sozialer Konflikt immer dann zur Eskalation führt, wenn man sich nicht mehr auf die gleiche Wahrheit einigen kann. Ein Problem, das im Zeitalter der „Division“, in dem wir uns mit „Fake News“ und „alternate facts“ bewegen, nur allzu relevant ist.
Die „BRICK WALL“ ist dabei sowas wie der heimliche Star des Films. Dabei wird es viele Indizien geben, was genau sie ist, und am Ende auch eine klare Antwort; ganz bewusst lässt der Film jedoch auch einige Fragen offen. Denn die Wand ist natürlich auch Metapher – für unser Leben in der städtischen Isolation, das Allein- und Einsamsein in unserer Gesellschaft, obwohl wir umgeben sind von einem Überangebot an Kommunikation und Unterhaltung.
Die Wand steht aber auch als Metapher für eine unserer großen Gesellschaftskrankheiten und die Hilflosigkeit, mit der wir ihr gegenüberstehen: Depression. Eine Krankheit, die (besonders beim Mann) immer noch tabuisiert ist, und die sich schleichend immer tiefer einfrisst, in die Psyche des Erkrankten. BRICK erzählt dies in Gestalt eines mitreißenden, unterhaltsamen Survival-Thrillers (der auch Spaß machen darf), in dem der erfolgreiche Ausbruch aus der Depression gelingt. Für den von Existenzängsten geplagten Tim geht es dabei um mehr als nur Überleben: Es geht um seine Reifung als Mensch. Das ewige Hamsterrad, in dem er gefangen ist, und es endlich hinter sich zu lassen – was zuletzt zum Wiederfinden der Liebe zu seiner Partnerin Olivia führt.
Klimakatastrophe, totalitäre Regime, oder die sich zuspitzende soziale Frage. Die Welt schreit nach Veränderung. Ein Ausbruch aus den Mauern der Mühlen unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft. Und darum geht es im Kern auch Tim und Olivia. Beruf, Alltag und überholte gesellschaftliche Normen haben sie aufgezehrt und zermürbt, drohen ihre Liebe zu zerstören. Zumindest Olivia hat zu Beginn den Mut, einen Schlussstrich zu ziehen – doch durch Tims Zögern zwingt die Wand sie zum Bleiben. Die Flucht der beiden aus ihrem Zuhause steht somit sinnbildlich für unseren Ausbruch aus einem System, das uns kaputt zu machen droht, wenn wir nicht rechtzeitig handeln.
Aber auch im Kleinen findet die Thematik einen Widerhall, der für viele Menschen von großer Bedeutung ist: Die Aufforderung, was auch immer du tun willst, um dein Leben zu ändern – tu es jetzt. Denn es kann jeden Tag anders kommen. In BRICK ist es die Ziegelwand, die Tim und Olivia ihren Ausbruch verweigern; in unseren Leben haben die Faktoren, die verhindern, das wir unsere Träum und Freiheit leben, andere Ausdrucksformen: Beruf, Verantwortung, Gesundheit, Psyche – die Gründe, mit denen wir uns gegen unser eigenes Glück stemmen, sind mannigfaltig. Und werden es womöglich immer sein. Es ist Teil der menschlichen Natur.
BRICK ist in seiner Sinnfrage auch so etwas wie ein populärer, existenzialistischer Film, der ein klein wenig an Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ erinnern darf. In dessen Philosophie ist es dem Menschen, der in seinen monotonen Gewohnheiten verkrustet ist, nicht möglich, diesem Kreislauf zu entfliehen. Wird es unseren Hauptfiguren in BRICK gelingen – auch wenn der Preis dafür hoch ist?
Fest steht: Er ist möglich, dieser Aufbruch, die Veränderung, der Wandel. Diese Hoffnung brauchen wir in diesen Tagen.